Rundgang um die Herztöne
Das herzergreifende Foto eines viel gequälten Hundes, „der anonym bleiben soll”, ging durch das Internet und löste bei allen Tierfreunden starken Protest aus. Doch viele blieben auch an der Seite der Menschen und deklarierten die Empörung als Massenhysterie, denn die Bettler seien genauso auf Hilfe angewiesen und dennoch ruft das Foto von hungernden, erschöpften Mitmenschen bei niemandem eine ähnliche Reaktion hervor!
Ich denke, viele von uns würde es um wichtige Erfahrungen bereichern, einen Tag oder zumindest ein paar Stunden beispielsweise in einem Tierheim zu verbringen. Wenn wir uns nicht wegen der Tiere dazu entschließen möchten, dann tun wir das eben für die Menschen, die dort freiwillig oder beruflich unter nicht alltäglichen Bedingungen arbeiten. Es lohnt sich, einmal genauer hinzuschauen!
Vor allem im Winter sollten wir uns dieses Erlebnis keinesfalls entgehen lassen und möglichst ein Tierheim besuchen, wo die Tiere notgedrungen unter freiem Himmel, in unbeheizten Kenneln untergebracht sind. Sie sind gut genährt und doch versuchen sie bei unserer Ankunft einander übertreffend uns bellend, winselnd etwas zu verstehen zu geben. Sie spüren vielleicht, dass hier nur Lautstärke etwas bewirkt, weil dort, innerhalb der Gitterstäbe die Unterschiede zwischen einem als Gipfel der Züchterarbeit zählenden Deutschen Schäferhund oder einem Dobermann und einer als Resultat zufälliger Vermehrung geborenen, komisch oder bedauernswert aussehenden „Promenadenmischung” verschwinden. In den Genen der glücklicheren Kreaturen sind noch die Spuren des warmen Wolfspelzes zu erkennen, Pech haben aber die, deren Fell der Mensch für gut beheizte Wohnungen, für weiche Sofas hoffnungslos kurz züchtete. Sie zittern wie Espenlaub, denn in Tierheimen, die fast immer überfüllt sind, finden in beheizten Räumen in der Regel nur junge und kranke Hunde Platz.
Allgemeiner lässt sich sagen, dass Tierheime in Ungarn heute auf all die Sinne der Besucher schockierend wirken, ganz zu schweigen von den östlich von uns befindlichen, doch formal als „europäisch” anzusehenden Anlagen. Es kann hilfreich sein, an die Weisheit zu erinnern, die besagt, dass man „das Leben nicht an der Zahl der Atemzüge messen sollte, sondern daran, wie oft einem der Atem stockt”. Fürchten wir also nicht das Erlebnis, dorthin zu gehen und solange dort zu bleiben, bis wir die Menschen verstehen können, die dafür leben, um den Tieren zu helfen. Nachdem man eingetreten ist, schlage ich vor, nicht zuerst den Bereich der Welpen oder der kranken Tieren aufzusuchen, sondern bis zur Abgrenzung der jungen oder auch schon älteren Bewohner zu gehen. Wir werden sehen, wie sie einander verdrängen, wie sie sich bemühen, in unsere Nähe zu gelangen und auch einander anfallen, nur um uns einen Augenblick länger oder früher zu erreichen. Es reicht aus, mit der Hand das Gitter zu berühren.
Denken wir nur daran, dass wir im Laufe unseres Lebens nur sehr selten mit so unbedingter Anhänglichkeit und einem derartigen Flehen um Hilfe konfrontiert sind. Und all das, obwohl es den Tieren weder an Futter noch an Trinkwasser mangelt und sie auch genügend Platz haben, um sich zu bewegen. Wenn einigen von ihnen der Vorzug zuteil wird, zu den neuen Besuchern hinausgehen zu dürfen, dann wird man Zeuge einer großen Veränderung.
Allein das Anlegen eines Halsbandes oder eines Hundegeschirrs weckt in ihnen alle positiven und negativen Erlebnisse, die sie bis dahin mit Menschen machten. Manche verkrampfen sich sofort, brechen praktisch zusammen oder drängen sich so nah an den Menschen wie möglich, – häufig auch indem sie klagend ein schmerzendes Körperteil zeigen. Andere umspringen uns im Rausch, geben Bussis und Pfötchen und all das möglichst gleichzeitig. Dabei sind die wahren Verlierer der Tierheimexistenz diejenigen, die das Leben außerhalb des Gitters mit zu vielen schmerzhaften Bildern verbinden. Wenn wir versuchen, sie herauszuholen, flüchten sie kopflos in den hintersten Winkel. Die Mehrheit passt sich dennoch außerordentlich schnell an und beobachtet jede Bewegung, unabhängig davon, ob wir erfahrene Hundehalter oder absolute Neulinge sind. Was wir innerhalb kurzer Zeit von den nach unserer Zuwendung lechzenden Hunden erhalten, ist nichts anderes als eine große Dosis der „Droge Liebe”, an die wir uns immer erinnern werden, und zwar meistens als positives Erlebnis. Vorausgesetzt, dass wir nicht in der ersten halben Stunde davonlaufen.
Dieses Liebeserlebnis wirkt zuerst nur unmittelbar und in Körpernähe und wir müssen auf jeden Fall über die Äußerlichkeiten hinwegkommen. Über die Gerüche oder auch über den Anblick dieser Tiere, die die Zeichen menschlicher Grausamkeit tragen.
Jeder, der ein Tier hat, kennt und durchlebte dieses Gefühl in irgendeiner Form. Wer keines hat, der wird vielleicht seufzend, sich, seine Sinne wie ein Igel gegen die Außenwelt abschottend zu jedem einzelnen, Bewundern oder Bedauern auslösenden Tierfoto sagen: „Wie viele Menschen leben im Elend, auf der Straße, in der Kälte. Zählen die nicht? Warum sollte man gerade einen Hund bedauern oder lieben??”
Wie berechtigt und dennoch ungerecht dieser Standpunkt ist! Mein erster Gedanke ist natürlich, dass der Wortführer gewiss ein Menschenrechtsaktivist ist, doch zumindest jemand, der zu Weihnachten warme Speisen an Obdachlose austeilt, jemand, der innerhalb weniger Minuten den dafür empfänglichen Mitmenschen unzählige andere Alternativen anbietet, wie man anderen helfen kann. Doch in der Mehrzahl der Fälle geschieht das leider nicht. Über die, die ihre Zunge über unser Mitleid und unsere guten Absichten wetzen, hört man nur selten gute Taten. Meine Erfahrung sagt mir, dass sozial wirklich mitfühlende, hilfsbereite Mitmenschen das Geschick von Menschen und Tieren auf die gleiche Weise annehmen, doch zumindest unendlich tolerant gegenüber der gefühlsmäßigen Ausrichtung, den Offenbarungen anderer sind. Diese Freiwilligen taten in der Vergangenheit das Richtige und sie tun es auch heute – aus Berufung – im Verborgenen, wenn wir auch dabei die Erfahrung machen, dass derjenige, der sich aufopfert, um Menschen zu helfen, oft mit dem Feuer spielt.
Hier denke ich natürlich nicht an die Menschenkinder, die sich an den Gitterstäben von Waisenhäusern festhalten und hin und her schaukelnd auf ein Wunder warten. Ihre Existenz zur Kenntnis zu nehmen birgt für uns die einzige, doch unser Schicksal entscheidende Gefahr. Sie müssten in ihrer Unschuld dasselbe kollektive Verantwortungsbewusstsein in uns auslösen, wie die streunenden, „von uns gezähmten” Tiere. Trotz der Tatsache, dass heute niemand mehr zum Feuertod verurteilt wird, wenn er mit seinem Glauben oder anderen ähnlich außerordentlichen Fähigkeiten seiner eigenen Art, dem Menschen, hilft, wird noch lange nicht in uns so viel Vergebung, Liebe und Vertrauen der Krone der Schöpfung gegenüber vorhanden sein wie den auf der Straße ausgesetzten, oder in Tierheimen um uns zitternden Hunden. Denn gerade auf unsere Gefühle bauend nutzten uns unsere Artgenossen aus und betrogen uns meistens und das macht uns heute jede hilfreiche Hand verdächtig. Wir glauben schon lange nicht mehr an die Menschen! Leider!
So, als wir scheinbar gefühllos über einen sein Leben auf der Straße fristenden Bettler hinweggehen, gegen den wir in uns unserem Unterbewusstsein verzweifelt wehren, weil der Betreffende auch ein Unterboss der „Bettlermafia” oder bestenfalls ein gestürzter Politiker sein könnte, so kommen uns die Tränen bei einem im Internet auftauchenden bedauernswerten kleinen Hund, dessen dem Menschen gegenüber bezeugte Anhänglichkeit niemanden enttäuschen wird. Vielleicht gehen wir dann in einer plötzlichen Eingebung in ein Tierheim und nehmen auch unsere Kinder mit, damit sie diese echte, aufrichtige Zuwendung erfahren und auch im Erwachsenenalter niemals vergessen. Dem Hund mit den schönsten Augen legen wir die Leine an und führen ihn außerhalb der Gitter ein wenig spazieren, um die ungebrochene Kraft der Lebensfreude und des Lebenswillens in den Äußerungen eines kleinen Hundes mitzuerleben, zu denen ein Mensch heute nur selten fähig ist. Und ob wir diese kollektive Verantwortlichkeit der Menschheit gegenüber den „Unschuldigen“ fühlen, da wir uns die Erde zu unserer eigenen Bequemlichkeit einrichteten und damit alle ihre Bewohner zu einer lebensgefährlichen Abhängigkeit vom Menschen verdammten, ist völlig gleich! Ich sage nicht mal, dass wir bewusste oder unbewusste Gewissensbisse haben müssten, damit in uns die Entschlossenheit zu guten Taten reift. Wenn wir nur auf unser Herz hören, zum Beweis dessen, dass in uns noch nicht alles verloren ist! Die Glücklicheren unter uns werden nicht nur mit großem Mitgefühl das Schicksal der Tiere betrachten, sondern sie werden den Weg der Tat beschreiten. Jeder auf seine Weise. Wir erkennen währenddessen, dass sich hinter dem Anblick der Hunde und hinter jeder ihrer Lebensäußerungen eine menschliche Seele verbirgt, die so gut ist, dass sie uns zu unserer eigenen zurückführt. Wenn wir sie im Tierheim beobachten, dann zeigen unsere Hunde uns mit der Zeit, was man in uns und wie man uns, den Menschen, lieben kann.
Es war einmal,
da lebte ein einsamer Wolf.
Einsamer als die Engel.
Er verirrte sich einmal in ein Dorf
und wählte das erste Haus, das er erblickte.
Er liebte schon die Wand,
das Streicheln der Maurer,
doch das Fenster ließ ihn nicht ein.
Im Zimmer saßen Menschen.
Niemand außer Gott
fand sie so schön,
wie dieses Tier mit dem reinen Herzen.
In der Nacht ging er in das Haus hinein,
hielt mitten im Zimmers inne und
bewegte sich nie wieder.
Mit offenen Augen stand er die ganze Nacht
und noch am Morgen, als man ihn erschlug.
(János Pilinszky: Fabel)
Viele erwarten uns beispielsweise hier: www.siofokiallatvedo.hu
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