Ein Schloss, Frauen und Wölfe
Von Wien aus gelangt man nach kaum einer halben Stunde Autofahrt durch die hügelige Landschaft (und an Wiesen und Feldern vorbei) zum Wildpark Ernstbrunn. Dort befindet sich im Apfelgarten eines historischen Schlosses, in dem sogar noch ein echter Prinz wohnt, eines der größten Wolfsforschungszentren Europas. Der Ort ist bekannt für sein märchenhaft schönes Schloss, in dessen Park imposante riesige kanadische Timberwölfe Zuflucht gefunden haben. In enger Zusammenarbeit mit Universitäten und anderen Forschungszentren untersuchen hier mehrere Biologen das Verhalten der Wölfe. In ihren Analysen vergleichen Sie das Verhalten der Wölfe mit dem ihrer domestizierten Verwandten, den Hunden.
Bei der Auswertung der spielerisch erscheinenden Tests ermitteln die Forscher die Lebens- und Anpassungsfähigkeit der Wölfe. Die langfristige Forschungsarbeit wird eines Tages vielleicht auch die Frage beantworten, was die Voraussetzung dafür war, dass Wölfe unseren Planeten schon seit Jahrmillionen bevölkern. Vielleicht liegt der Grund in ihren feinen Instinkten oder in ihrem Organisationstalent, ihrer Arbeitsteilung im Rudel, oder vielleicht ist die Kombination aus beidem der Schlüssel für ihr Überlebensrezept. Denn trotz der Tatsache, dass der Mensch vor allem im letzten Jahrhundert gegen die Wölfe einen regelrechten Feldzug führte, haben diese Tiere überlebt. Die Geschichte unsere Erde stellt unter Beweis, dass eine Tierart Eiszeiten, Erdbeben, ja sogar das Absinken ganzer Kontinente überleben kann. Schwierig jedoch wird es wenn sie zum Angst- und Jagdobjekt des Menschen wird.
Als ich den Entschluss fasste, entgegen aller Vernunft und Aberglauben das Gehege der Timberwölfe zu betreten, starrte ich schon im ersten Moment einem halben Zentner schweren schwarzen Exemplar in die gelben Augen. Einen Augenblick lang überlief mich jener kalte Schauer, den der Mensch wohl seit Urzeiten spürt, wenn er einem Wolf begegnet.
Logischerweise löst das Herankommen eines ganzen Rudels in dem unerfahrenen Eindringling ein freundlich-unterwürfiges Verhalten aus, besonders wenn er nicht mehr wegrennen kann. Dementsprechend war ich auch bemüht zu signalisieren, dass ich das „Wolfsgesetz“ anerkenne, das in unserem Wertsystem häufig als Symbol der Grausamkeit gilt. Der Ausdruck verweist auf jeden Fall darauf, dass der Mensch schon seit jeher die im Wolfsrudel herrschende, erbarmungslos scheinende Ordnung achtete, fürchtete und vielleicht sogar als Beispiel ansah. Es ist kein Zufall, dass wir in der Sprache mehrerer Nationen für das Wort „Gesetz“ keinen aussagekräftigeren Ausdruck kennen, der bezüglich seiner Bekanntheit den Begriff „ Gesetz der Natur“ nicht nur vorausgeht und vertritt, sondern, zum Beispiel auch zur Beschreibung der Grausamkeit des Geschäftslebens dient.
Bevor jemand meinen Mut überbewertet und mich als unerschrockenen Held sieht, weil ich es wagte ins Wolfsgehege zu steigen, muß ich zugeben, dass in dem Gehege drei Damen über meine körperliche Unversehrtheit wachten: die Biologinnen und Forscherinnen Dr. Zsófia Virányi und Dr. Friederike Range sowie die Hunde- und Wolfstrainerin Bea Belényi nahmen mich in den ersten Minuten in ihre Mitte und versorgten die uns umkreisenden Wölfe mit Leckerlies. Jetzt im Gehege, als die Wölfe direkt neben mir standen, wirkten die Wölfe wesentlich größer, als noch vor dem Zaun. Zuvor aus der sicheren Entfernung hatte ich die „Kräfteverhältnisse“ eben nur abschätzen können.
Die zweite ins Auge fallende Besonderheit war, dass die nicht gerade für ihre Sanftheit bekannten Wölfe mich und jeden Neuankömmling mit einem Kuss begrüßten, viel argloser als dies je ein Hund tun würde. Es ist also nicht völlig abwegig zu denken, dass der jahrhundertealte zweifelhafte Ruf der Wölfe vielleicht nur auf das schlechte „Wolfsmarketing“ zurückzuführen ist!
Aber die großen Augen der Jungtiere, die zutraulichen Welpen und ihr tänzelnder, etwas ungelenke Gang täuschen. Ich konnte mit eigenen Augen erleben, wie die friedliche Stimmung, das Wolfsidyll in einem einzigen Moment umschlagen kann und plötzlich bedrohlich gefletschte Zähne aufeinanderschlagen. Zum Glück galt das Kräftemessen nur einander. Sie wären ja auch ganz schön bescheuert, uns, ihre Futter verteilenden, streichelnden „Roboter“ zu verschrecken.
Ich füge hinzu, dass die Harmonie des aneinander gewöhnten Rudels dadurch aus dem Gleichgewicht zu geraten schien, weil ich verschiedene Hundespielzeuge aus Textil, aus Gummi und aus Leder mitgebracht hatte, um diese zu testen. In manchem war Futter versteckt. Der Test war mehr als erfolgreich und auch bei den Wölfen hatten die Spielzeuge besonders großes Gefallen gefunden, denn sie zerrissen es innerhalb kürzester Zeit, schlangen das Futter herunter oder versteckten ihren Schatz. Es war völlig aussichtslos, das Spielzeug wiederzubekommen, denn wir wussten, dass wir trotz der Freundschaft zwischen den Wölfen und den Trainern gewisse Grenzen nicht überschreiten durften. Auch unser Kamerateam durfte, wenn auch in begrenzter Anzahl, den Ring, d.h. das Wolfsgehege betreten. Die Regeln vermittelten einem vorher dies „wachsamen Mädels“ kurz und bündig.
– Das Gehege dürfen höchstens zwei Fremde in Begleitung von mindestens zwei Trainern betreten. Die Besucher müssen immer neben einem Trainer bleiben. Mehr als zwei Schritte Abstand sollten wir nicht wagen! Vor dem Betreten müssen die Taschen geleert werden, Gürteltaschen und auf die Taille gebundene Pullover müssen abgenommen werden! Ja, und nach Möglichkeit sollten die Wölfe nicht erschreckt werden!- Das alles klang in diesem Moment fast ein wenig ironisch, denn ich blickte in die vor Angst erblassten Gesichter unseres Teams.
Kaum zwei Minuten nach dem Betreten des Geheges stahlen die neugierigen Bewohner schon unseren Mikrofonschutz der Kamera. Wir hatten das Gefühl, dass die Grundvoraussetzung unseres Aufenthalts im Gehege darin bestand, dass wir Futter oder andere als Beute geeignete Sachen anbieten. Trotzdem verließen wir das Gehege zufrieden, um viele Erlebnisse bereichert und vor allem unversehrt. Vor allem dank eines besonders vielversprechenden Programms!
Was wir sahen war ein regelrechter Wettbewerb zwischen Computer bedienenden Hunden und Wölfen! Oder zumindest so etwas Ähnliches! Im Wolfspark wird so nämlich die Intelligenz der Hunde und Wölfe getestet.
Bei dem Test erscheinen auf einem Touchscreen nebeneinander zwei verschiedene Gegenstände oder Formen. Eine Form wiederholt sich. Wenn die gelehrige Nase sie anstupst, erscheint ein Leckerlie zur Belohnung, das dann in die Schale unter dem Touchscreen fällt. Von nun an glaube ich, dass wir kein einziges schlechtes Wort mehr über unsere computersüchtigen Teenager verlieren sollten, weil Wölfe und Hunde den Monitor genauso hypnotisiert anstarrten wie sie. Aufgrund der gesammelten Erfahrungen genießt jeder der Teilnehmer das Spiel, doch die Lernfähigkeit der Wölfe übersteigt die der bisher getesteten Familienhunde bei weitem. Wir erfuhren jedoch, dass es bei dem Wettbewerb nicht ganz gerecht zuging, denn unter den gegeneinander antretenden Tieren waren die Hunde wesentlich älter. Der wahre Vergleich steht noch aus. Dann sollen ähnlich wie die Wölfe erzogene, gleichaltrige Hunde an identischen „Computerstups-Aufgaben” teilnehmen. Ich wollte den Kollegen hier einen wertvollen Tipp geben, denn sie hatten den Zusammenhang zwischen Alter und geistiger Leistungsfähigkeit noch nicht berücksichtigt. Interessanterweise konnten oder wollten sie meinem Gedankengang nicht folgen. Die Verständnislosigkeit meines Kamera-Teams sehend, versuchte ich den zuletzt erwähnten Zusammenhang durch mein eigenes Beispiel zu klären, denn auch meine Gehirnleistung lässt offensichtlich mit dem Fortschreiten meines Alters nach.
Ich muß wahrscheinlich nicht hinzufügen, dass meine Erklärung unter den Kollegen ein unverschämtes Lächeln auslöste, und plötzlich war allen klar, was ich meinte.
Um das freche Grinsen zu stoppen, schlug ich schnell einen kurzen Spaziergang im Wald vor.
– Mit Wolf oder ohne Wolf? – fragte Bea zurück
– Na klar mit Wolf! Lass es krachen! Wenn alle meine übermütigen Kollegen einen Wolf an die Leine bekommen, vergeht ihnen zumindest die Lust, sich über mich lustig zu machen.
Ich wurde jedoch rasch aufgeklärt, das nur ein Wolf aus dem Gehege mitgenommen werden kann und auch der nur an einer nicht zu zerkauenden Kevlar-Leine mit handgenähtem Halsband und im Hundegeschirr. Am besten mit den Produkten von Julius – K9, versteht sich. Außerdem sollte uns ein Helfer 20 bis 30 Meter vorausgehen und melden, wenn Ausflügler oder ein fremder Hund in Sichtweite kommen.
Dank meiner außergewöhnlich guten Beziehung zu unseren Gastgebern, konnte ich diese überreden, den Leitwolf Aragon auf den Spaziergang mitzunehmen. Damit waren mehrere Mitglieder des Wolfsrudels aber gar nicht einverstanden, denn kaum hatten wir das Gehege verlassen, brach ein enormes Wolfsgeheul los. Davon ließen wir uns aber nicht beeindrucken. Wir hatten sowieso genug damit zu tun, dem an der 10 Meter langen Leine vorauseilenden Wolf hinterherzukommen. Bea befestigte die Leine an ihrem Gurt. Das half ihr dabei, das Tier zu halten. Auf unserem Weg begleitete uns auch Kendra, die belgische Schäferhündin, deren Aufgabe, wie sich später herausstellte, ebenfalls die Überwachung des Spaziergangs war. Nach dem wir ein kleines Wäldchen durchquert hatten, erreichten wir den alten, zum Schloss gehörenden Kornspeicher. Abgelenkt durch den schönen Anblick, bemerkten wir nicht den kaum 15 Meter von uns entfernten Radfahrer und seinen neben ihm her laufenden Hund. Unser Wolf aber schon! Den Kopf nach vorn gestreckt, mit jedem Nerv auf das sich bewegende Ziel konzentriert schoss er los.… In diesem Augenblick huschte ein brauner Schatten hinter meinem Rücken vorbei und sprang wie ein Torpedo dem Wolf an den Hals. Es war die belgische Schäferhündin! Unser Wolf spürte im selben Moment auch die angespannte Leine, die am Laufring an Beas Taille befestigt war und sein Schwung brach jäh ab. Mit Bedauern sah er dem kleinen Fleckenhund hinterher. Doch er entschädigte sich mit einem Schlammbad in der nächsten Pfütze. Nachdem er sich von allen Seiten im schlammigen Wasser gewälzt hatte, schloss er sich uns wieder an und schüttelte sich zufrieden ab. Trotz solcher kleiner Vorfälle verstehe ich alle die vollkommen, deren erklärtes Ziel die Bekanntschaft, die Betreuung oder auch nur die Berührung dieser Tiere mit ihrer unglaublichen Ausstrahlungskraft ist.
Fakt ist jedoch, dass die Mitarbeiter im Wolfsgehege für die Natur und die Anpassung an die Wölfe an ihre Grenzen gehen. Der herbstlich feuchte Nebel, den man bis auf die Knochen spürt, der klebrige Schlamm nach dem vielen Regen und die zwischen den hundertjährigen Bäumen rasch sinkende Sonne kündigen den Bewohnern des Schlossparks einen langen Winter an. Trotzdem sind sie alle optimistisch, weil sie einen großen Sprung in der Weiterentwicklung vor sich haben: neben dem touristischen Angebot, die Wölfe im Wald spazieren zu führen und den Versuchen mit den Touchscreen bedienenden Wölfen, erhielt das Wolf Science Centers auf dem Gelände des hiesigen Wildparks ein größeres und komfortableres Zentrum. Dank dieser Erweiterung wird das Wolf Science Center die größte Wolfforschungsanlage Europas. Ziel ist es auf rund 16.000 m² Gelände 20 Hunden, die zum großen Teil aus Tierheimen stammen, und 20 Wölfen ständig zu beobachten und deren Verhalten zu erforschen. Besuchern wird immer gern Einblick in den Alltag des Wolfsforschungszentrums gewährt. Dadurch soll auch ein für alle Mal mit dem Irrglauben über die grausamen, menschenfressenden Wölfe aufgeräumt werden. Natürlich ist es dennoch ratsam, sich vor dem Ausflug nach Ernstbrunn mit dem Thema „Wolfsrecht“ vertraut zu machen, damit wir die „Wolfsgesetze“ des Rudels nicht auf unsere Kosten verletzen!
Gyula Sebő – K9
Julius-K9 — The original,