Die Hundeflüsterin
Wer am Waldesrand lebt, kann viel früher beobachten, wie die Natur erwacht und die Knospen aufblühen. Stadtmenschen erleben den Frühling meist mit einer gewissen Verspätung.
Als Hundebesitzer merkt man den Wechsel der Jahreszeiten viel früher, da unsere perfekt programmierten „Personaltrainer“ uns in dieser Zeit besonders stark ins Grüne ziehen. Sie scheinen uns zuzurufen: „He, Herrchen, spürst Du es nicht? Beweg Dich! Laufen ist super!“
Genau aus diesem Grund zog es mich mit meinen vor Energie übersprudelnden Hunden in den Stadtpark. An einer Waldwiese jedoch blieben wir verwundert stehen. Vor uns flog eine bunte Scheibe in der Luft und ein lustig gefleckter Hund flog ihr hinterher: Hundefrisbee!
Ein zierliches Mädchen schmiss die Frisbee in die Luft, während ihr vierbeiniger Spielgefährte um sie herumtollte, Saltos machte und geradezu der bunten Scheibe hinterherflog. Plötzlich war das Spiel unterbrochen. Der Hund und sein Frauchen lagen im Gras und schienen miteinander zu sprechen. Aber was war das für ein Gespräch? Das Mädchen sagte etwas, gestikulierte mit ihrer Hand und der Hund reagierte tatsächlich darauf. Er bellte freundlich und wedelte mit dem Schwanz. Als das Mädchen eine kurze scheuchende Handbewegung machte, drehte er sich plötzlich um seine eigene Achse. Zwischendurch flogen Leckerlis als Belohnung. Dann ging es weiter: eine Handbewegung folgte der anderen. Der Hund drehte sich mal, mal ging er rückwärts, mal machte er Platz.
Ich war tief beeindruckt. Ich hatte noch nie ein so harmonisches, liebevolles Spiel zwischen Mensch und Hund gesehen. Allein durch die Stimme und die Körperzeichen des Frauchens, ganz ohne Zwang, gehorchte der Vierbeiner. Sofort fielen mir die Szenen eines Films mit Robert Redford ein. Es war wie beim „Pferdeflüsterer“. Mir war sofort klar: „Hier habe ich einen Schatz gefunden!“
Es ließ mir keine Ruhe, ich musste das Mädchen persönlich fragen:
„Was flüsterst du dem Hund ins Ohr, damit er Dir so gut gehorcht?“
So kam es, dass die „Hundeflüsterin“ Kata Kerényi mich an ihren Arbeitsplatz eingeladen hat, eine Mittelschule namens „Grüner Hahn“. Dort haben wir uns länger unterhalten und ich konnte an einer Unterrichtsstunde teilnehmen und beobachten, wie sie ihre Hunde als „Vermittler“ einsetzt, um Jugendliche in Bewegung zu bringen, bei denen das traditionelle Schulsystem bislang versagt hatte. Hier lernen Schüler, die schon von einer oder sogar mehreren Schulen geflogen sind und die oft verhaltensauffällig sind und Sozialisationsprobleme haben. Meist haben diese Schüler eine traurige Geschichte mit körperlich-seelischen Verletzungen hinter sich.
„Hier kommt man mit Strenge gar nicht mehr weiter“, erzählt Kata. „Wir Pädagogen müssen erstmal einen Weg zu diesen Jugendlichen finden und dann die verborgenen Talente an die Oberfläche bringen. Eine traditionelle Mittelschule kommt da bei diesen Fällen nicht weit. Dort werden nur massig Regeln aufgestellt und die Schüler werden zu Disziplin und Aufmerksamkeit verdonnert. In vielen Fällen ist ein Kind dazu aber gar nicht in der Lage. Die außerordentlichen Talente, die trotzdem in vielen Kindern schlummern, kommen aber nur zu Tage, wenn die Schüler den Mitschülern und der Umgebung vertrauen. In diesem Fall können meine Therapiehunde helfen. Die Liebe und die Direktheit der Hunde hat schon so manche verschlossene Persönlichkeit geknackt, die vorher mit niemanden reden wollte. Plötzlich machen dann doch alle bei der gemeinsamen Arbeit mit.“
Ich durfte selbst an der außergewöhnlichen Unterrichtsstunde mit den „Verstärker“-Hunden teilnehmen. Wir lernten die Frisbee richtig zu den Hunden zu werfen oder versuchten die Vierbeiner mit Leckerlis und den Scheiben zu akrobatischen Kunststückchen zu bewegen. Am Ende bildete die ganze Klasse eine Hindernisbahn aus ihren eigenen Körpern für die Hunde. Die Hunde wurden dann über diese Hindernisbahn geführt, wobei nicht ganz deutlich war, ob wir hier die Hunde führten oder eben umgekehrt. Jedenfalls gab jeder sein Bestes und echte Teamarbeit wurde sichtbar.
Kata erzählt weiter: „Das Spielen heilt. Die Hunde verfügen einfach über außergewöhnliche Eigenschaften, die wir im Unterricht ausnützen können. Sie spüren die kleinsten Stimmungsschwankungen und auch seelische oder körperliche Schmerzen des Menschen. Ich habe sogar schon beobachtet, dass Hunde versuchen zwei Streithähne zur Versöhnung zu bringen. Wenn Babys zum ersten Mal einen Hund treffen, machen sie große Augen und saugen fast schon jede Regung des Unbekannten Wesens in sich auf. So können sich Babys und Hunde lange Zeit miteinander „unterhalten“, weil sie sich eben durch ihre unschuldige Art und ihre volle Aufmerksamkeit einander öffnen.“
„Um deine Frage bezüglich es Flüsterns zu beantworten, kann ich Dir nur sagen: Die Fähigkeit mit anderen Lebewesen Kontakt aufzunehmen steckt von Anfang an in uns. Man muss nur lernen dem Gegenüber wirklich die ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Dann entwickelt man plötzlich eine „Sprache“, dessen Worte man nie gelernt hat. Jeder von uns kann also ein „Flüsterer“ werden!“
Sebő Gyula – K9